To Blog or not to Blog?

Veröffentlicht am 10. September 2004 von Roman
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Über die Revolution reden wir gleich. Erst mal gilt: Dank neuer Blogs verursacht Internetpornografie kein schlechtes Gewissen mehr - endlich Entspannung!

Sie schreiben über alles und jeden, sie nehmen kein Blatt vor den Mund und wenn man sie fragt, wohin das alles einmal führen könnte, dann ist ihnen kein Wort zu groß: Eine Revolution ist im Anmarsch, schon wieder einmal, und selbst die Skeptiker nehmen den etwas holprigen Namen dieser Bewegung mittlerweile ernst: Blogs. Blogs (Kurzform von Weblogs) sind das aktuelle Aphrodisiakum der Netzutopisten. Internettagebücher, geschrieben von einem oder mehreren Autoren, die Interessantes und Aufregendes aus dem Netz zusammentragen, darüber berichten und per Link auf das Original hinweisen. Längst hat sich daraus eine neue Form des Journalismus entwickelt, die bald den etablierten Medien den Rang ablaufen könnte.

Doch so viel in den Blogs von Zensur und dem Kampf dagegen die Rede ist, so selten tauchte bisher in den Manifesten der so genannten Blogosphäre der Begriff auf, der im Internet sonst so zentral ist: Sex. Ausnahmsweise war es einmal nicht die Pornografie, die diese Revolution vorantrieb.

Es dauerte eine Weile, bis auch die Blogs entdeckten, dass es durchaus noch etwas zu befreien gab, im Reden über den Sex, oder zumindest etwas zu entdecken. Dass auch in der neuen Medienwelt das bewährte Mittel hilft, die Klickraten zu steigern, ist sicher ein Grund für den Erfolg von Sex-Blogs. Aber vor allem die Geschmackssicherheit, mit der darüber gesprochen und Wissenswertes verlinkt wird, zieht auch Leser an, die sich normalerweise nicht einmal für Männerzeitschriften interessieren. Da geht es nicht nur um simple Fotogalerien, sondern auch um öffentliche Diskussion und, nun ja, uni kulturelle Fragen - und all das meist in diskreter Aufmachung, ohne Telefonsex-Pop-ups und blinkende Penisprothesenwerbung. Die amerikanische Seite http://www.fleshbot.com etwa berichtet seit einiger Zeit über Neuigkeiten aus dem Soft- und Hardcorebereich und das mit so viel Ironie und Süffisanz, dass sich selbst die Neu' York Times zu der Beschreibung 'Porno für Gelehrte' hinreißen ließ. http://www.fleshbot.com gehört zur rasant wachsenden Wehlog-Sammlung des Engländers Nick Denton, der auch das New York-Gossip-Blog http://www.gawker.com und die Technik-Gadget-Seite http://www.gizmodo.com schreiben lässt. 'Es hilft uns, dass der Mainstream Porno als Gesprächsthema zunehmend akzeptiert', meint Fleshbot-Chefredakteur Jonno d'Addario.

Erst machte das Internet Pornografie gesellschaftsfähig, jetzt sind auch die Folgen im Netz zu besichtigen: Eine ganze Generation lernte, unbefangen darüber zu reden und zu schreiben. Die Spielarten des neuen Sexdiskurses sind dabei so unterschiedlich wie die jeweiligen Vorlieben der Autoren und Leser. Unzählige Tagebücher sexuell aktiver Zeitgenossen gibt es mittlerweile: Vom ganz normalen Single bis zum Londoner Callgirl (http://belledejour-uk.blogspot.com) gewähren die Blogger Einblicke in ihr berufliches und privates Leben, mit wenig Scheu und machmal mit bemerkenswertem literarischen Talent. Andere, wie die Mitarbeiterin einer Pornofilmproduktion, verbreiteten Innenansichten aus dem banalen Alltag des Geschäfts in Form von absurden Anekdoten, eindeutigen Bilder und zweideutigen Top-Ten-Listen (http://www.pornblography.com). Und viele folgen dem Beispiel von Fleshbot und posten kurz kommentierte Links zu Fundstücken aus dem Netz von unglaublichen eBayAuktionen bis zu Interviews mit Pornostars.

Auch den deutschen Bloggern haben die amerikanischen Vorbilder Mut gemacht: Auf http://belledejour.antville.org teilt eine 30-jährige Berlinerin, die sich Anne nennt, ihre Liebesabenteuer mit der Netzgemeinde. Die Authentizität der hervorragend geschriebenen Texte ist zwar fragwürdig, gerüchtehalber stammen sie vom Schriftsteller Don Dahlmann, einem der fleißigsten deutschen Blogger, aber selbst wenn Anne so nicht existiert: Niveauvollere und klügere Texte über Sex als in ihrem Internettagebuch hat man lange nicht gelesen. Man kann es sich ein wenig wie Sex in the City vorstellen, wobei Carrie im Vergleich zu Anne ein prüdes und devotes Mäuschen ist. Und auch ein männliches Pendant gibt es schon, ebenfalls 30, ebenfalls aus Berlin, der seine Erlebnisse unter http://schmuddelblog.blogger.de erzählt. Texte über Sex und den ganzen Rest lautet der Untertitel des ganz und gar nicht schmuddeligen Blogs. Es ist der Rest, der den Unterschied macht. (Quelle: GQ)

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